Sri Lankas Armee stellt sich selbst vor Gericht

Von der LTTEwatch-Redaktion vom 15. Februar 2012

Colombo – Immer und immer wieder hat Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapaksa wiederholt, dass seine Soldaten unter seinem Kommando in den Krieg gegen Separatisten der Tamil Tiger (LTTE) mit „dem Gewehr in der einen und dem Buch der Menschenrechte in der anderen Hand“ gingen. Lange hat er auch behauptet, dass das, was zum Kriegsende Anfang 2009 im Vanni geschah, eine „humanitäre Operation“ gewesen sei und dass es nicht ein „einziges ziviles Opfer“ gegeben habe.

Rajapaksa und seine vielköpfige Ministerkohorte bestritten auch vehement und rundweg die Echtheit der Dokumentation von Channel 4 „Sri Lanka’s Killing Fields„, die Hinrichtung von Menschen mit auf dem Rücken gefesselten Händen durch srilankische Soldaten zeigt, sowie den Umgang von einigen Soldaten der srilankischen Armee mit den nackten Körpern von Frauen, die sexuell missbraucht worden sein könnten – bevor sie, ebenfalls mit auf dem Rücken gefesselten Händen, getötet worden waren. Ein Soldat in srilankischer Uniform sagt in dem Film, während ein nackter Körper von ihm auf einen Lastwagen geworfen wird, dass „diese nicht wirklich tot“ ist, und ein anderer sagt, dass diese eine (toter, nackter Körper) „ganz schön aussieht – für eine LTTE-Kader“.

Srilankische Soldaten standen und stehen unter dem Befehl von Seiner Exzellenz, dem Präsidenten von Sri Lanka, Mahinda Rajapaksa. Der Verteidigungsminister ist Mahinda Rajapaksa und sein Bruder, Gotabhaya Rajapaksa, ist sein Staatssekretär. Gotabhaya Rajapaksa sagte in einem BBC-Interview: „Ich sage Ihnen, wir werden ihn hängen“. Er sprach über General Sarath Fonseka, dem Armeechef, der nun im Gefängnis sitzt. Sarath Fonseka hatte in einem Zeitungsinterview während der Präsidentschaftswahl gesagt, dass Gotabhaya Rajapaksa den Befehl gegeben habe, Aufgabe willige LTTE-Anführer zu erschießen.

Das Expertengremium des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, hat behauptet, dass mehr als 40.000 Menschen in der Endphase des Krieges getötet worden sein könnten. Der Regierung von Sri Lanka wird das Bombardieren der sogenannten sicheren Zonen vorgeworfen (die von der Regierung selbst festgelegt worden waren) und dadurch den Tod von Tausenden von Zivilisten, darunter Frauen, Kinder, Behinderte und älteren Menschen billigend in Kauf genommen zu haben.

Der Regierung von Sri Lanka wird auch die Bombardierung von Krankenhäusern und das bewusste Zurückhalten von Medikamenten und Nahrungsmitteln vorgeworfen.

Den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) wird die Verwendung von Zivilisten als menschliche Schutzschilder vorgeworfen, außerdem der Einsatz von Selbstmordbombern gegen die eigenen Leute.

Viele Menschenrechts– und Hilfsorganisationen haben behauptet, dass tamilische Frauen durch srilankische Soldaten während des Krieges und danach vergewaltigt wurden.

Unter internationalem Druck hat Präsident Mahinda Rajapakse zugestimmt, eine Gelernte Lektionen- und Versöhnungskommision (LLRC) einzusetzen. Angeblich nach der vielgerühmten süafrikanischen Apartheits-Aufarbeitungskommission – in Wahrheit jedoch meilenweit davon entfernt.

Nach eineinhalb Jahren wurde deren Bericht im vergangenen Dezember schließlich veröffentlicht. Immer wieder wurden in der Zwischenzeit die Forderungen nach Untersuchungen der Vorfälle rundweg abgelehnt, weil erstens siehe oben und zweitens weil man doch bitteschön den Bericht der LLRC abwarten solle.

Und obwohl diese Kommission in der Vorgehensweise sowie in der Auswahl seiner Kommissare keinerlei internationalen Standards entsprach und sie in ihrem Bericht der srilankischen Armee einen „Persilschein“ ausstellte und sie von jeglichen Vorwürfen frei sprach, so hat sie doch auch einige (wenige) sehr sinnvolle Empfehlungen abgegeben. Unter anderem, dass ihr Mandat nicht gereicht habe um bestimmte Vorfälle anzugehen und man dies doch bitteschön noch nachholen müsse.

Immer wieder hat der Präsident versprochen – auch vor der Veröffentlichung des LLRC-Abschlußberichtes – diese Empfehlungen auch umzusetzen. Zuletzt vor dem indischen Außenminister Krishna und den hochranigen Vertretern des US-State Department. Das hatte er zwar auch schon bei dem Zwischenbericht vor gut einem Jahr vollmundig behauptet. Doch absolut nichts geschah in dieser Hinsicht, trotz immer weiter geäußerter Versprechen.

Nun hat die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA und Australien, aber auch Indien und die EU, den Druck auf Sri Lanka deutlich erhöht; man will sich durch die Winkelzüge des „Provinzanwalts und abgebrochenen Hauptschülers Rajapaksa“ (Zitat der Beschreibung eines US-Diplomaten in einer von WikiLeaks veröffentlichten Botschafts-Depeche) nicht länger vorführen lassen.

Heute wurde vom Hauptquartier der srilankischen Armee eine denkwürdige Presseerklärung verbreitet, die eine Wendung um 180 Grad in der Sache beinhaltet – nun beißt sich also die Katze wirklich selbst in den Schwanz: Der derzeitige Armeechef, General-Lieutnant Jagaht Jayasuria habe, Kraft seines Ranges, ein 5-köpfiges, militärisches Untersuchungsgericht einberufen, das den im Bericht der LLRC aufgenommenen (wenigen) Fällen auf den Grund gehen soll.

Außerdem sollen die Fälle, die in der Channel 4 Dokumentation „Sri Lanka’s Killing Fields“ angesprochen werden, durch dieses Militärgericht untersucht werden. Was allein schon eine komplette Bankrott-Erklärung darstellt – wir erinnern uns noch gut an die geradezu kindisch wirkenden Versuche, durch eigene „Videoexperten“ (Armeeangehörige) beweisen zu wollen, dass sämtliches in der Dokumentation verwendetes Material gefälscht sei.

Werden Beweise für die Echtheit dieser Vorfälle gefunden, so hieß es heute, hat dieses eingesetzte Militärgericht die Möglichkeit, Schuldige zu verurteilen – wie jedes andere zivile Gericht auch.

Den Vorsitz dieses Militärtribunals hat Generalmajor Chrishantha De Silva, Kommandeur der Sicherheitskräfte in Kilinochchi. Und damit weder Regierung noch Armee bei dieser schwindelerregenden Wendung nicht zu sehr das Gesicht verlieren, wurde diese Erklärung veröffentlicht, während der Präsident selbst außer Landes weilt. Das Ganze soll auch bereits seit dem 2. Januar im Gange sein.

Merkwürdig, wo man sich noch vor ein paar Tagen so vehement gegen eines solche Untersuchung geäußert hatte.

Ob dieses Tribunal reicht, um Sri Lanka vor einer Resolution vor der kommenden Tagung des UN-Menschenrechtsrates zu bewahren?

Noch einmal: die Armee, der schlimmste Vergehen vorgeworfen werden, untersucht sich (und die kommandierende Regierung) selbst. Skeptiker sagen schon jetzt, dies sein ein wenig so, als würden Saddam Hussein, Gaddafi oder Assad sich vor ein Gericht „verantworten“, dem sie selbst vorsitzen.

Zumindest scheint es, als schwante es Sri Lankas Regierung, dass sie sich nicht unbedingt auf das Vetorecht ihrer bisherigen Verbündeten verlassen kann.

Außerdem ist Sri Lanka, entgegen den immer wieder von Präsident Rajapaksa und Notenbankchef Cabraal inbrünstig geäußerten Versicherungen einer blühenden Wirtschaft, unvermittelt dabei, immer tiefer in eine Wirtschaftskrise abzugleiten. Eine, die sich gewaschen hat – und die durch und durch selbst verschuldet ist.

Der srilankische Rupee wurde von den Finanz-Dilettanten an der Macht solange mit Millionen von Dollaraufkäufen gestützt, bis auch die letzten der – ohnehin nur geliehenen – Forex-Reserven aufgebraucht waren; die Devaluation der Rupee wird die Import-Export-Schere noch weiter auseinander treiben. Und die drastische Erhöhung der Energiepreise (bis zu 36%!) trifft am Schlimmsten die unteren Zweidrittel des Landes.

Nach Angaben von internationalen Bankinstituten befindet sich der srilankische Rupee derzeit „im freien Fall„. Das sagt der Notenbankchef dazu: Das sei nur eine vorübergehende, panische Reaktion. Seit Cabraal keine harte Währung mehr hat, um den Rupee zu stützen, also seit dem 10. Februar, als man dann doch auf die seit Monaten vorgetragenen Mahnungen des IWF hörte, hat die Landeswährung über 10 Prozent eingebüßt, eine Talsohle ist derzeit nicht in Sicht. Sri Lankas junge Börse, kurz nach der Gründung noch als erfolgreichste der Welt gefeiert, ist nun ein großer Scheiterhaufen für all die bunten Scheine, die Notenbankchef Cabraal in den letzten Monaten drucken ließ. Seit der Rupee nicht mehr gestützt werden kann, „gleicht jeder Tag einem brutalen Gemetzel, bei dem Millionenwerte vernichten werden“, so ein Brocker.

Der von den Srilankern mehr oder minder stillschwiegend in Kauf genommene „Kohl’sche“ Deal – also blühende Landschaften, Wohlstand für alle gegen ein wenig mehr an Unterdrückung der Opposition und der Presse, gegen ein wenig mehr an Korruption und Vetternwirtschaft – allein aus der Familie des Präsidenten, der selbst als Multiminister rund Zweidrittel des gesamten Staatsbudgets verantwortet, sind über 100 Mitglieder in lukrativen Positionen – scheint plötzlich nicht mehr zu funktionieren.

Paradox: Der Durchschnitts-Srilanker kann sich zwar kein Licht mehr leisten, dafür geht ihm – möglicherweise – endlich eins auf.

In den letztenTagen gab es überall im Lande zum Teil heftigen, massenhaften Protest, ausgelöst durch die ohne Vorwarnung erhöhten Energiepreise, die mit brutaler Polizei- und Armee-Gewalt, mit Wasserwerfern, Tränengas und letztlich auch mit tödlichen Schüssen niedergeschlagen werden. Auch zuvor schon hatten einzelne Vertreter der Regierungskoalition, die eine Zweidrittelmehrheit im Parlament hält, mehr oder minder laut über ihren Austritt aus der Regierungsveranwortung sinniert. Vor seiner Abreise nach Pakistan und Singapur (um sich deren Stimmen vor dem UNHRC zu versichern) versetzte der Präsident die Armee noch schnell in den „Alarmzustand“. Er ahnte wohl schon, was passieren würde.

Noch haben die Schergen des Präsidenten alles mehr oder weniger im Griff. Was auch mit der desolaten Opposition zusammenhängt, die zerstritten ist und unfähig, sich zu gemeinsamen Aktionen zusammen zu tun. Der Chef der größten Oppositionspartei UNP ist ein notorischer Wahlverlierer, der stark an einen asiatischen Westerwelle erinnert und nur mit Hilfe von Seilschaften und üblen Tricksereien noch im Amt ist. In Krisenzeiten (heißt bei Wahlen) reist er gerne ins Ausland, um dort den Staatsmann zu geben, der er einst war.

Doch was, wenn der einfache Fischer, der Bauer und der Tagelöhner langsam aber sicher begreifen, dass die Mär vom Frieden, von dem „Wunder Asiens“, nur ein mit allen Mitteln aufrecht erhaltener Mythos, nur hohles Geschwätz war?

Der abstürzende Rupee wird das von Exporten abhängige Land in eine ungekannte Rezession treiben. Die von Regierungskritikern durchaus unter eigener Lebensgefahr (öffentlicher Widerspruch in Sri Lanka kann tödlich sein) als „weiße Elefanten“ bezeichnete, megalomanische Superprojekte (ein Hafen in Rajapaksas entlegener Heimat Hambantota, der keinerlei internationalen Standarts entspricht und den folglich auch kein Schiff anfährt, ein Flughafen mitten im Naturschutzgebiete, der – ausgerechnet – Naturfreunde anziehen soll, ein Kulurpalast, der unbezahlbar ist für Kulturschaffende, ein Crickettstadion mitten im Nirgendwo, ein riesiges Kohlekraftwerk das (teuer importierte!) Kohle verbrennt – und ab und zu auch sich selbst, etc.), allesamt mit teueren Krediten von den Chinesen bezahlt und von ihnen auch umgesetzt. Ohne srilankische Arbeitskräfte. Allen gemein: sie sind auf absehbare Zeit von keinerlei wirtschaftlichen Nutzen. Die immensen Kosten für diese „weißen Elefanten“ werden das Land noch über Jahrzehnte hinaus über die Maßen belasten.

Dem gegenüber steht die völlig maßlose, fast schon legendäre Verschwendungssucht des aufgeblähten srilankischen Regierungsapparates.

Es wird interessant sein, in den kommenden Tagen die Reaktionen beispielsweise der Obama-Regierung oder  der britischen Regierung zu sehen. Man muss daran erinnern, was Präsident Obama während seines Wahlkampfes sagte, bevor er Präsident wurde. Er sagte: „Wenn Völkermord irgendwo in der Welt passiert und wir tatenlos zusähen, würden wir selbst Schaden daran nehmen“.

Mit den kommenden Präsidentschaftswahlen in den USA, bei den Obama antritt, um zu gewinnen, kann davon ausgegangen werden, dass er entschlossen ist, sich nicht von Sri Lanka aufhalten zu lassen. Das belegt auch der kürzlich Besuch von mehreren hochrangigen Emissären und Diplomaten und ein knallharter Brief an den srilankischen Außenminister Peiris von US-Außenministerin Hillary Clinton.

Der britische Außenminister Alistair Burt sagte kürzlich, dass, wenn die „Rechenschaftspflicht“ nicht mit ausreichender Ernsthaftigkeit in Sri Lanka behandelt würde, die britischen Regierung sich alle Optionen offen halte.

Interessant wird es auch, wenn vor dem Militärtribunal vielleicht sogar über den wahren Inhalt des „Buches über die Menschenrechte“ gesprochen wird, das der Präsident von Sri Lanka seinen Soldaten in die eine Hand gab, während sie das Gewehr in der anderen hielten.

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